Station 3 – Stolperstein für Magnus Lehmann

Textbeitrag des Eric-Kandel-Gymnasiums

Die Schüler:innen der Klasse Ed haben sich mit den Lebensläufen von
Magnus Lehmann und Gertrud Eickhorst beschäftigt und für ihre
Beschreibungen die Perspektive der Betroffenen eingenommen:


Ich, Magnus Lehmann, wurde am 19. Mai 1885 geboren.

Meine Familie lebte bereits seit dem 17. Jahrhundert hier in Ahrensburg, und betrieb hier über 100 Jahre ein sehr erfolgreiches Getreide- und Futtermittel-Handelsgeschäft, so dass wir zu den wohlhabendsten Familien hier zählten. Ahrensburg war für uns Heimat. Wir waren ein fester Bestandteil in der Gesellschaft. Meine zwei Brüder: Harry und Ludwig, waren beide Kaufmänner und glücklich verheiratet. Ich bin mit Erna verheiratet. Wir haben keine Kinder. 1915 entschied ich mich als Soldat im Ersten Weltkrieg für mein Land zu kämpfen.

Nach meinem Dienst als Soldat war ich bis 1933 bei der AEG in Berlin als Diplom-Ingenieur tätig. Mit dem wachsenden Einfluss auf den Alltag durch die Nationalsozialisten, spitzte sich die Lage für mich aber so stark zu, dass ich aufgrund meines jüdischen Glaubens schließlich aus meinem Job entlassen wurde. Eine Chance, sich dagegen aufzulehnen, gab es nicht, so dass ich nach Ahrensburg zurückkehrte, wo ich wieder zusammen mit meinen Brüdern in unserer Familienfirma arbeitete.

Vor dem 30. Januar 1933 hatte es keine konkreten antisemitischen Vorfälle gegen uns gegeben und die Erinnerungen an die Mitbürger sind positiv.

Wir erlebten den ersten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 nicht persönlich. Aber mein Neffe Otto erinnert sich an den Tag: „Von den anlässlich des Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 aufgestellten Wachen wurde uns berichtet, dass sie sich so gut wie entschuldigten für ihr Verhalten, sie seien eben dazu abkommandiert worden.“ Ich weiß nicht, ob sie die Wahrheit sagen. Manchmal glaube ich, dass einige es genießen, solch eine Macht auszuüben. Aber wegen des „sehr freundlichen Verhaltens unsrer Mitbürger hatten wir uns auch mit der Auswanderung nicht sehr beeilt.“ Nur mein Neffe Helmut war bereits im Frühjahr 1933 nach Rio de Janeiro ausgewandert. Otto studierte sogar an der Kieler Uni Chemie, laut ihm „als einziger Jude, aber ohne Schwierigkeiten oder Anfeindungen“.

„Schikanen jeder Art, Einschränkungen bei der Kontingentzuteilung usw. verstärkten sich im Laufe der Jahre immer mehr“ obwohl sich die Firma „eines sehr angesehenen Rufes“ erfreute. Nach dem Pogrom am 9.  November 1938 wurden meine Brüder, mein Neffe und ich ohne Grund verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin gebracht. Mich traf es von allen am härtesten und meine schlimmsten Befürchtungen und Ängste wurden wahr… Zwei Tage später wurde ich in Deutschlands größtes Konzentrationslager, Buchenwald bei Weimar, eingeliefert. Ein Ort, noch schlimmer, als ich mir je vorstellen konnte. Kann so ein Erlebnis irgendjemanden irgendwann loslassen? Während meines Aufenthaltes versuchte mein Neffe Helmut, der bereits in Brasilien lebte, für uns eine Einreisegenehmigung nach Brasilien zu erlangen. Um ausreisen zu dürfen, wurde uns eine „entschädigungslose“ Zahlung an die Deutsche Golddiskontbank, eine Reichsfluchtsteuer sowie eine Judenvermögensabgabe auferlegt, so dass wir für unsere Emigration alles verkauften: extrem unter seinem Wert. Die Villa in der Hagener Allee 45 konnten wir z.B. trotz eines reinen Immobilienwertes von 40.000 RM für nur 25.000 RM verkaufen, der Kaufpreis der Sachwerte wurde willkürlich um 30.000 RM gekürzt, die Firma wurde für 60.000 RM verkauft. Die Kaufpreise standen uns aber nicht zur Verfügung, sondern wurden auf ein sog. „Sicherungskonto“ überwiesen. Mein Bruder Harry, seine Frau Martha und ihre Tochter Ilse bekamen schnell ein Visum und konnten 1939 auswandern, mit der Chance und Hoffnung auf ein neues, besseres Leben. Bei meinem Neffen Otto dauerte es ein Jahr länger, da sein Brief mit seiner Geburtsurkunde verloren ging; er kam jedoch durch Umwege schließlich nach.

Einen Monat wurde ich im Konzentrationslager gefangen gehalten. Nach meiner Entlassung am 7. Dezember 1938 versuchte ich ebenfalls am 8. Februar 1940 nach Brasilien zu gelangen. Ich hatte große Hoffnung, dass dies funktionieren würde, ABER: Mein Antrag auf einen Pass mit dem Reisezweck „Auswanderung ins Ausland“ wurde abgelehnt, so hieß es als Begründung, ich sei erstens Inhaber des Eisernen Kreuzes und zweitens kinderlos.

So saß ich in Ahrensburg fest…

Zwingend und schweren Herzens musste ich die stetigen Veränderungen in Ahrensburg miterleben, so beispielsweise auch die schmerzliche Debatte um den jüdischen Friedhof, auf dem allein zehn meiner Familienmitglieder begraben liegen.  Was sich jedoch teilweise nicht änderte, war die Einstellung einzelner Bürger mir gegenüber. Diese blieben auch nach all den Jahren freundlich, unterstützend und wirkten mir zugewandt. Trotz Verbot verkauften mir drei Bauernhöfe nach wie vor Grundnahrungsmittel. Diese Geste der Loyalität weiß ich nach wie vor sehr zu schätzen und verspüre tiefe Dankbarkeit. Auch wenn sie sich nicht öffentlich für mich eingesetzt haben, bin ich der Meinung, dass sie für mich etwas getan haben und mir irgendwie beistanden.

Am 4. Dezember 1941 verließ mich jedoch das Glück mit meiner „Evakuierung“ in das Konzentrationslager nach Minsk…

Seit seiner Evakuierung nach Minsk verläuft die Spur von Magnus Lehmanns tragischer Geschichte an diesem Punkt. Er soll es durch dieses Kapitel seines Lebens nicht geschafft haben und verstarb am 8. Mai 1945 in Minsk mit Hinweisen auf einen Aufenthalt in Riga.

Neben dem Café Rondeel ist ein Stolperstein für Magnus Lehmann verlegt worden und der Lehmannstieg verläuft nur einige Meter weiter. Beide sollen die Erinnerung an diese Geschichte auch im täglichen Leben wachhalten sollen.

In einem Rückerstattungsverfahren nach 1945 erhielt die Familie Lehmann die Grundstücke des Geschäfts zurück und verpachteten diese an den Käufer von 1939. Vertreten wurden die Lehmanns in dem Verfahren von Friedrich Eickhorst als Vermögenspfleger. Auch er und v.a. seine Frau Gertrud erlebten die Drangsalierung im Nationalsozialismus.

Am 28. Mai 1896 wurde ich – Getrud Eickhorst – als Tochter von Siegfried und Anna Rieß in Hammerstein in Westpreußen geboren. Mein Vater war Apotheker und Besitzer der Germania-Apotheke in Stettin. Am 1. April 1922 tauschte er diese Apotheke gegen die Adler-Apotheke in der Hamburger Straße 10 in Ahrensburg, dort wo heute das Sparkassengebäude steht, ein.

Da die Apotheke gut lief und ich Spaß an ihr fand, entschloss ich, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters treten wollte und begann ein Studium der Pharmazie, welches ich 1925 erfolgreich abschließen konnte.

Danach durfte ich mit vollem Stolz die Apotheke meines Vaters übernehmen. Ich führte sie selbstständig. Als ich den Kaufmann Friedrich Eickhorst aus Bargteheide kennenlernte und heiratete, führten wir gemeinsam die Apotheke.

Leider veränderte sich mein Leben immer stärker nach dem 30. Januar 1933. „Bereits am 1.4.1933 fanden sich vor der Tür meiner väterlichen Apotheke Plakatträger mit der Aufschrift: ‚Kauft nicht bei Juden‘ ein. Seit jener Zeit bin ich nicht ohne Verfolgung gewesen, da die alteingesessene Apotheke die Begehrlichkeit der damaligen Machthaber reizte und sie jeden Versuch unternahmen, mich durch Verängstigung zur freiwilligen Aufgabe meines Eigentums zu veranlassen.“ Es gefiel ihnen also nicht, dass die erfolgreiche Apotheke in meiner Hand, also der einer ‚Jüdin‘ lag. Zwar konnte ich das Geschäft zunächst noch weiterführen, jedoch änderte sich dies ab März 1936, da ab diesem Zeitpunkt alle jüdischen Apotheker verpflichtet waren, ihre Geschäfte an ‚Arische‘ Apotheker zu verpachten.

Daraufhin wurde mir sogar die staatliche Zulassung zur Ausübung meines Berufs entzogen, da ‚Juden‘ damals offiziell nicht als würdig betrachtet wurden, Geschäfte leiten zu können. Im Oktober wurde meine Apotheke dann an Herrn Otzen zwangsverpachtet. Ich war am Boden zerstört.

In den folgenden Jahren verstarb erst am 06. Mai 1936 meine Mutter und am 15. Oktober 1939 mein Vater. Ich war sehr traurig.

Am 21. November 1939 wurde ich ohne Angabe von Gründen verhaftet und in ein Frauengefängnis in Lübeck gebracht, wo ich drei Nächte auf dem Steinfußboden verbringen musste. Ich hatte große Angst. Insgesamt 21 meiner Familienangehörigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Nach drei Wochen kam ich wieder frei, woraufhin ich mit meinem Ehemann nach Hamburg zog, in der Hoffnung in der Großstadt „unauffälliger“ leben zu können, so dass die Apotheke zwangsverkauft wurde, wobei: „Ich erhielt keinen Pfennig.“

Bis zum Kriegsende lebten mein Mann und ich illegal in verschiedenen Unterkünften in Hamburg, Eutin, Malente und Seemoor. Erst im Mai 1945 kehrten wir nach Ahrensburg zurück. 27 meiner Angehörigen wurden während des Nationalsozialismus ermordet.

Meine Wohnung, neben der Apotheke wurde inzwischen schon von einer anderen Familie bewohnt. Natürlich wurde ich auch darüber nicht informiert. Dennoch konnten wir auf Protest und mit Hilfe der Militärregierung sofort unsere Wohnung räumen lassen und wieder einziehen. Meine Apotheke allerdings, blieb noch viele Jahre in der Hand des neuen ‚Besitzers‘, welcher sie im Oktober 1936 übernommen hatte. Dieser versuchte auch mehrfach mich und meinen Mann loszuwerden, was ich allerdings durch die Unterstützung der britischen Militärregierung verhindern konnte. Ganze fünf lange Jahre musste ich ein schwieriges Verfahren durchmachen und warten bis ich meine schöne Apotheke wieder übernehmen konnte.

Ich führte die Apotheke bis zu diesem Jahr 1973 und stellte am 1. Januar Christian Zuther ein. Er wird die Apotheke sicherlich gut führen können, da bin ich mir sicher.

Als Opfer des Nationalsozialismus erhalte ich eine kleine Rente – für die Anerkennung meiner Leiden musste ich aber hart kämpfen. So lehnte das Landesentschädigungsamt in Kiel meinen Antrag auf Haftentschädigung ab, da ich „lediglich“ drei Wochen im Zuchthaus gefangen gehalten worden war und nicht wie im Entschädigungsgesetz als Voraussetzung vorgesehen mindestens dreißig Tage. Zudem leide ich unter nervösen Störungen und einer Herzmuskelschwäche, die amtsärztlich „altersbedingte“ und nicht verfolgungsbedingte Symptome herabgetan wurden.

Dennoch ist eines klar: ich werde die Grausamen Taten der Nationalsozialisten nie vergessen, denn durch sie wurde ich sowohl seelisch als auch körperlich getroffen und verletzt. Die Entschädigungsverfahren und Mittel die ich erhielt fühlten sich nicht ausreichend an und ich fühle mich nicht ernst genommen oder verstanden.

Gertrud Eickhorst verstarb am 14. Februar 1973 in Ahrensburg.